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verfasst: 07.02.2024

Mama mit Leib und Seele

Sofort schwebte ich ein paar Schritte auf Abstand, aber nur so weit, dass er mich von seiner Wiege aus noch sehen konnte. Sehen… das klang so verrückt, dass ich beinahe lachen musste. Doch er liess mich nicht aus den Augen. Keine Sekundenlang. Konnte er mich etwa doch… sehen? Konnte Benjamin mich tatsächlich sehen?! Nein… das… war nicht möglich… das… konnte einfach nicht sein…

Zögernd hob ich meine Hand und winkte ihm kaum merklich zu. Er folgte meiner Bewegung, und zwar ganz genau. Wieder erstarrte ich. Schluckte und atmete tief durch, während ich versuchte, meine verworrenen Gedanken und Empfindungen zu ordnen. Wie konnte er mich sehen, wo ich doch ein Geist und unsichtbar war? Wieso ausgerechnet… er?

Als nächstes versuchte ich ein scheues Lächeln, aber ich war so unsicher, dass ich mir sicher war, dass es eher einer gruseligen Fratze glich. Doch ich war so nervös und wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. Aber Glücklicher- und überraschenderweise erwiderte das Baby meinen misslungenen Versuch. Es war ein warmes, wenn nicht gar vertrautes und belebendes Lächeln – nein, Lachen – dass es mir schenkte und welches meine Anspannung sofort löste.

Ich konnte nicht anders, als erleichtert zurück zu lächeln. Mit neuem Mut näherte ich mich ihm wieder. Ich beugte mich über Benjamin und reichte ihm, wenngleich immer noch etwas gehemmt, meine Hand. Aufgeregt streckte der Säugling seine kurzen Ärmchen nach mir aus und bekam einen meiner Finger zu fassen. Ich konnte es fühlen. Ich konnte seine kleinen Händchen um meinen Finger spüren. Eine Gänsehaut überkam mich. Das konnte nicht sein… das konnte doch unmöglich sein! Das Gefühl, wie er munter auf meinem Finger herumknetete war so… unglaublich! Es war so überwältigend und so… berührend! Es berührte mich so tief, dass mir Tränen unkontrolliert in die Augen stiegen.

Begeistert liess ich meine Fingerspitzen weiter über seine samtig weiche Haut gleiten. Er konnte es auch fühlen. Er spürte mich, denn meine Berührungen kitzelte ihn, so dass sein Lachen allmählich in ein Jauchzen überging und er wild mit seinen kleinen dicken Beinchen zu strampeln anfing. Ich kitzelte ihn weiter und fing auch selbst zu lachen an, weil es so lustig aussah, wie er herumzappelte. Bald darauf lachten wir beide um die Wette.

Von da an verbrachte ich sehr viel Zeit mit Benjamin. Eigentlich war ich rund um die Uhr in seiner Nähe. Ich hatte den Eindruck, als freute er sich ebenfalls, wenn ich plötzlich vor ihm auftauchte.

Jedenfalls gluckste er immer aufgeregt und tastete mit seinen kleinen Händen neugierig in meinem Gesicht herum, oder zog mir quietschend an meinem Zopf. Es war auch für mich ein tolles Gefühl, endlich und wahrhaftig wieder von jemandem wahrgenommen zu werden.

Abby verbrachte ebenfalls jede freie Minute mit ihrem Sohn. Egal ob am Tag oder in der Nacht. Manchmal setzte sie sich mit ihm in den Schaukelstuhl. Dann las- oder summte sie ihm was vor.

Oft stundenlang. Oder sie nahm ihn mit nach unten und liess ihn in ihren Armen ein Nickerchen machen, während sie sich eine Sendung im Fernsehen ansah. Aber die meiste Zeit waren ihre Augen nicht auf die Flimmerkiste gerichtet, sondern auf ihren Jungen.

Abigail blühte regelrecht auf, seit Benjamin geboren war. Sie dachte nicht mehr ständig an ihren Ehemann, der im Gefängnis sass. Oder an den Unfall von Angelique. Während sie früher oft Trost im Alkohol suchte, hatte sie mittlerweile überhaupt kein Verlangen mehr danach. Ihre Welt schien wieder ein Stückweit in Ordnung zu sein. Sie hatte eine neue Aufgabe. Nämlich dem Wesen in ihren Armen all ihre Liebe zu schenken, zu der sie fähig war.

Sie würde ihn nie wieder hergeben. Lieber würde sie sterben.

Ich war unentwegt dabei. Wobei ich immer darauf achtete, dass Benjamin nicht zu sehr von mir abgelenkt wurde und dass Abby nicht plötzlich anfing zu hinterfragen, was ihr Kleiner gelegentlich anstarrte und an brabbelte.

Auch Mark schaute fast täglich vorbei. Mir gefiel zwar nicht, dass er ständig hier rumhängte, aber anders als ich, schätze Abigail seine Anwesenheit und wenigstens machte er sich ab und zu nützlich, indem er Einkäufe besorgte, Rechnungen bezahlte oder Mutter und Sohn Gesellschaft leistete…

Mehr oder weniger…

Er wäre auch dazu bereit, ein paar fähige Kindermädchen einzustellen, aber Abigail meinte, sie käme schon allein zurecht. Und das tat sie. Ausserdem erhielt sie tatkräftige Unterstützung von Marife…

die wahrlich ein Goldstück war.

Es war ein herrlicher, fast sommerähnlicher Herbsttag, als Abby ihren Sohn auf den Arm hob und mit ihm und einer Tasche das Haus verliess. Sie war schon ein paar Mal mit ihm draussen gewesen, wenn das Wetter es zugelassen hatte, jedoch nie weiter als ein paar Schritte.

Aber heute schien sie ein entfernteres Ziel im Sinn zu haben. Ich folgte ihr, und schon bald hatte ich eine Ahnung, wohin sie wollte.

«Sul Sul, Angelique», begrüsste sie mich, oder vielmehr die Hunderten von Vergissmeinnichts, die zu ihren Füssen ihre Blüten dem Himmel entgegenstreckten, um vor dem bevorstehenden langen Winter, die letzten warmen Sonnenstrahlen auszukosten. Abby hatte sich mit ihrem Kleinen auf die Bank gesetzt. Ich hielt mich etwas im Hintergrund auf, damit Benjamin mich nicht direkt in seinem Blickfeld hatte.

«Es tut mir leid, dass ich dich erst heute wieder besuche», fuhr sie fort, «ich weiss, dass ich das schon beim letzten Mal gesagt habe… aber… ich hatte meine Gründe, weisst du…» Die Brünette verstummte für einen Moment und blickte gedankenverloren auf ihren Sohn herab. Doch dann wurde ihre verlegene Miene von einem immer breiter werdenden Grinsen abgelöst…

als sie hinzufügte: «Hier ist einer davon…»

Im gleichen Atemzug hob sie ihr Kind in die Luft. «Darf ich vorstellen, dass ist Benjamin.» verkündete sie stolz. Ich musste unwillkürlich Lächeln. Die Pose hatte doch tatsächlich etwas vom König der Löwen.

Wenig später hatten es sich die beiden auf einer weichen Decke bequem gemacht, die Abby, nicht weit von der Stelle entfernt ausgebreitet hatte, unter der mein Körper begraben lag.

Ich nährte mich ein wenig, damit ich besser verstehen konnte, was sie sagte. Die junge Mutter berichtete mir viel über ihr Baby. Was für ein süsser, ruhiger und cleverer Junge er doch war und wie begeistert sie von ihm sei. Dinge, die ich schon wusste, aber es war nochmal etwas anderes, sie aus ihrem Mund zu hören, ihr strahlendes Gesicht dabei zu sehen und ihre vor Glück leuchtenden Augen.

«Ich glaube, du würdest ihn mögen, Angelique.» beendete sie ihre Erzählung, während sie ihr Kind mit unbeschreiblicher Bewunderung ansah. Das tue ich.

Dann packte sie Babynahrung aus der Tasche aus und legte Benjamin ein Lätzchen um. Ich hatte mich derweil auf die Bank gesetzt. Der Kurze war viel zu sehr mit dem knallig roten Löffelchen beschäftigt, als dass er mich bemerkte.

Abby schnitt komische Grimassen und machte lustige Flugzeuggeräusche, während sie ihm einen Löffel Brei in den Mund schob. Er gluckste fröhlich, als er seinen zahnlosen Mund um den Löffel schloss, obwohl das meiste vom Brei auf seinem ohnehin schon bunten Lätzchen landete.

Ich japste, als mich ein schneidendes Hungergefühl durchfuhr. Nicht etwa nach Essen, sondern nach dem kleinen Chaoten, der nach jeder Ladung wild mit seinen Ärmchen wackelte.

Wie fühlte es sich wohl an, für ein Geschöpf, dass Sim selber erschaffen hat, wie der Mond und die Sterne und alles dazwischen zu sein?

«Abby?!» vernahm ich plötzlich eine Stimme hinter mir.

Ich war so vertieft in die liebevolle Mutter-Kind-Szene, dass ich den BlödSim gar nicht kommen hörte, der wirklich ein Talent dafür hatte, die schönsten Momente zu ruinieren. Auch Abby fuhr erschrocken hoch.

«Mark…» räusperte sie sich, als er vor ihr stand, «was… was machst du da?» – «Dasselbe wollte ich dich gerade fragen?» entgegnete er verwundert und schaute sich um, «was soll das werden? Ein Picknick?» Er lachte wieder sein abfälliges Lachen. «I-ich… j-ja… es… es ist doch so schönes Wetter…» – «Aber warum hier? Mitten in der Pampa?» bohrte er weiter nach, «währt ihr doch mal lieber zum See gegangen, da ist es doch viel schöner.»

«Ich… ich find’s schön hier…» erklärte sich Abby, die zunehmend nervös wurde, als Mark sie von oben herab abwägend ansah.

Sein Blick suchte noch einmal aufmerksam das Blumenfeld ab, eher seine Augen wieder auf ihr ruhten und sich einer seiner Mundwinkel beschwichtigend nach oben verzog: «Lass uns nach Hause gehen, ich habe was vom Chinesen dabei. Du magst doch Chinesisch, oder?», meinte er und reichte ihr eine Hand, um ihr aufzuhelfen.

Dort angekommen, brachte Abby als erstes ihren Sohn in sein Zimmer und legte ihn in sein Bettchen. Die Sonne und der kurze Ausflug in den Wald, hatte ihn ganz schön müde gemacht und er war schnell eingeschlafen. Ich blieb bei ihm, während seine Mutter wieder nach unten ging, um mit dem Kotzbrocken zu Abend zu essen. Mark hatte auch Wein mitgebracht, Abigails Lieblingssorte. Sie zögerte zwar, als er ihr einschenken wollte, liess sich dann aber doch von ihm überreden.

«Du hast mir noch nicht gesagt, was ihr mit der Leiche gemacht habt.» erwähnte Mark plötzlich beiläufig beim Essen.

Sein Gegenüber erstarrte zur Salzsäule. Beinahe wären ihr die Essstäbchen aus der Hand gefallen. «D-die Leiche?» stutze sie, «w-welche Leiche?!» Sie hatte tatsächlich gerade keine Ahnung, wovon er sprach. «Na die Leiche der Rothaarigen.» Nun brachte Abigail keinen Ton mehr heraus. Sie schaute ihn nur aus weit aufgerissenen Augen an, wie ein aufgescheuchtes Reh, dazu bereit, sofort die Flucht zu ergreifen.

«Hey, du kannst es mir ruhig sagen, Abby,» sprach Mark weiter und versuchte seiner Stimme einen möglichst ruhigen und harmlosen Tonfall zu geben, «du brauchst doch bestimmt jemanden, dem du dich anvertrauen kannst. Das könnte auch Francis entgegenkommen, übrigens…» Und damit hatte er ihr Vertrauen wieder.

«Wie… wie meinst du das?» – «Ich brauche möglichst viele Informationen, wenn ich ihn aus dem Gefängnis bekommen soll.» – «Aber… dieser… dieser Unfall… der hat doch gar nichts mit seinem angeblichen Betrug zu tun?» – «Das spielt keine Rolle. Da das Mädchen immer noch vermisst wird und die Ermittlungen stocken, könnte die Polizei schlimmstenfalls davon ausgehen, dass dein Mann oder sogar du hinter ihrem Verschwinden stecken könntet.» – «Was?! A-aber… aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn?! Das… das eine hat mit dem anderen doch gar nichts zu tun?!» – «Trotzdem müssen wird damit rechnen, dass dieser Fall eintreten könnte. Deshalb müssen wir gegen alles gewappnet sein. Aber keine Sorge, ich habe was für dich vorbereitet, du musst nur noch unterschreiben.» Er schob die leeren Pappbehälter vom Chinesen beiseite, um Platz zu schaffen. Dann holte er einen Umschlag aus seiner Westentasche und breitete einen kleinen Stapel Papiere auf dem Tisch aus. Abbys Stirn war fragend in Falten gelegt: «Was… ist das?»

«Ich habe einen Vertrag für einen neuen Anwalt aufsetzen lassen, um deinen Mann aus dem Gefängnis zu holen.» – «Einen neuen Anwalt? Aber wir haben doch schon einen Anwalt?» – «Und was hat der bislang erreicht? Nichts. Deswegen hab ich dir hier einen neuen. Den besten.» versicherte Mark und reichte ihr schon den Kuli. Völlig überrumpelt, sah die Brünette ihn an. Nur zögerlich nahm sie eins der Dokumente und begann sogleich an zu schwitzen, als ihre Augen den Block aus Text überflogen und sie vergeblich versuchte sich zu konzentrieren, aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte diese Floskeln nicht verstehen. Normalerweise war ihr Mann derjenige, der sich um solche Dinge kümmerte…

«Vertrau mir, Abby. Du wirst sehen, er wird im Nu wieder draussen sein.» Francis ehemaliger bester Freund und Geschäftspartner wedelte ermutigend mit dem Kugelschreiber, «ich brauche nur eine kleine Unterschrift, hier, hier… und hier.»

Andererseits wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihn so schnell wie möglich da raus zu holen, und sie wusste, dass sie dies nur mit Marks Hilfe erreichen konnte. Und im Gegensatz zu ihrem negativ eingestellten Mann, war sie überzeugt, dass der Vater ihres Kindes seine Taten bereute und sich um Wiedergutmachung bemühte. Warum sonst kümmerte er sich so hingebungsvoll um sie und Benjamin und setzte alles daran, dem unrechtgetanen Francis zu helfen?

Schliesslich überwand Mrs. Jones ihre letzten Zweifel und unterschrieb die Papiere in gutem Glauben und nicht ahnend, dass sie damit nicht nur das Schicksal von Mr. Jones, sondern auch ihres und das vom kleinen Benjamin besiegelt hatte.

«Danke, Mark.»

Weiterlesen… Fortsetzung folgt…

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